Sonntag, 18. Januar 2009

Krise komm kuscheln

Seit gefühlten drei Jahren werden wir medial und seitens der Politik auf Enthaltsamkeit und Katastrophen eingestimmt. Ende letzten Jahres war es dann endlich soweit, die ersten Bilder der Krise wurden gelieftert. Das theoretische Geschwurbel nahm mit den ersten Bankenpleiten und riesigen Abschreibungen erstmals greifbar Gestalt an. Doch die Distanz zu den Geschehnissen, selbst innerhalb Europas oder gar Deutschlands war und ist noch zu groß, um für den Einzelnen spürbar zu sein. Innerhalb der Medien wird daher mit Hochdruck an einem Horrorszenario geschraubt, einer Wirtschaftskernschmelze, die alles je dagewesene in den Schatten stellt.

Derweil gehen Softwareentwickler Christian und seine Frau Anne gemeinsam mit ihren Kindern Luca und Emma an der Elbe spazieren. Es war schwer einen Parkplatz zu finden für ihren Volvo-Kombi jüngeren Baujahres. Schwer weil der Elbstrand an einem Sonntag extrem bevölkerungsreich ist. Touristen treffen auf Einheimische, Cafékellnerinnen auf Hundebesitzer - Crepeduft macht sich breit und Espressomaschinen zischen. An diesem Tag werden knapp 100.000 Menschen einen Wintertag an der Hamburger Waterkant genießen. Die Krise jedoch, die bleibt gedruckt zu Hause.

Ich würde lügen, behaupte ich, die Krise sei mittlerweile nicht auch in den Gesprächen der Bevölkerung angekommen. Doch gänzlich anders als prognostiziert resultiert nicht Hysterie und Panik aus dem Wissen um schlechtere Zeiten. Vielmehr macht sich eine lang verbannte Solidarität und Reflektion breit. Menschen hinterfragen die Säulen des Kapitalismus, wünschen Gerechtigkeit und entwickeln ein neues Bewusstsein für nachhaltige soziale Marktwirtschaft, auch über deutsche Grenzen hinaus. Die prominenten Opfer verleihen dem ganzen eine seelige Empörung.

Nun steht Deutschland aktuell auch nicht am Schlechtesten da. Im Kapitalismus haben sich zuallererst die USA und Großbritannien verhoben und Halbstarke mit Pubertätsakne holen sich erste blaue Flecken (China, Indien und Russland). Wir sind weit entfernt von den fünf Millionen Arbeitslosen, die noch vor kurzer Zeit zu verzeichnen waren. Erstmals gab es reale Lohnsteigerungen für etliche Berufsgruppen, während Inflation und Deflation noch uneins miteinander sind.

Meinetwegen darf die Krise sich noch eskalativ übersteigern. Sie soll mit aller Gewalt an manifestierten Fehlentwicklungen rütteln und geltungssüchtige Entscheider in ihrer Gier kastrieren. Pervertierte Geldhäuser, welchen bei Ebay die noble Einrichtung unterm nadelbestreiften Hintern weggepfändet wird ernten kein Mitleid. Fehlgeleitete Industrien mit Verschwendungssucht können gern den Dinosauriern nachziehen.
Die größten Erfolge der Zivilisation waren mit heeren Umstürzen und Neuordnungen verbunden. Solidargemeinschaften entstehen und etablieren sich ideal unter Extrembedingungen. Parallel ist die Weltgemeinschaft mehr als je zuvor in der Lage ohne Weltkrieg und Rachefeldzüge mit solchen Verwerfungen zu hantieren. Allein hier liegt der Vorteil der Vernetzung der global Player - diese würden niemals zulassen, dass ihr Firmeneigentum nachhaltig zerstört wird (zumindest nicht durch Krieg).

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